22. Mai 2009 I Alt-Oberurseler Brauhaus

Die literarische Enklave Oberursel.

Von Erasmus Alberus bis Hans Zippert

 

Nun bereits zum zweiten Mal konzipiert und organisiert die Gemeinschaftsinitiative „Literaturland Hessen“ den landesweiten „Tag für die Literatur“. Eine Vielzahl buntgemischter Veranstaltungen soll in ganz Hessen auf das reichhaltige literarische Erbe der jeweiligen Ortschaften und Regionen aufmerksam machen und dabei so manches längst verstaubte Kleinod aus Archiven, Bibliotheken oder Museen herausholen und der Öffentlichkeit präsentieren.

Haben zwar die wahrhaft illustren Köpfe der Dichtkunst wenig Notiz von Oberursel genommen, findet man bei genauerer Suche dennoch Erstaunliches und Beachtenswertes aus der literarischen Schmiede – manches liegt schon sehr lange zurück, anderes ist vor nicht allzu langer Zeit in Vergessenheit geraten und manches schriftstellerische Treiben findet gerade jetzt in unserer unmittelbaren Nachbarschaft statt.

Vielleicht ist es die besondere Lage Oberursels, die  Schriftsteller und Dichter lockt. Gebettet zwischen dem schon immer kulturell, wissenschaftlich, politisch und wirtschaftlich aktiven Frankfurt und der landschaftlichen Schönheit des Taunus bietet die Stadt gleichzeitig großstädtische Nähe und provinzielle Zurückgezogenheit, kulturelle Anregung und erholsame Ruhe.

So scheint Oberursel eine gewisse Spezies von Autoren anzulocken. Autoren nämlich, die einerseits mit einem  wachen und kritischen Blick die Ereignisse und Entwicklungen in der Welt betrachten, andererseits aber eine bestimmte Distanz zum Weltgeschehen durchaus zu schätzen wissen, ja sie regelrecht suchen: in Oberursels Literaturgeschichte finden sich auffallend viele Literaten, die man als satirische Eremiten oder – je nach persönlicher Vorliebe – als eremitische Satiriker bezeichnen könnte.

Mit dem Lutherschüler und Reformationsdichter Erasmus Alberus, der von 1500 (?) – 1553 lebte und in Bruchenbrücken (heute ein Stadtteil von Friedberg) geboren wurde, fängt alles an. Nach seinen theologischen Studien bei Luther und Melanchthon kam Erasmus Alberus 1522 nach Ursel, gründete hier die Lateinschule und begann zu schreiben. Für seine Schüler verfasste er die ersten seiner bald berühmten Fabeln und sparte dabei nicht mit polemischen Seitenhieben gegen den Katholizismus. Mehr als 300 Jahre später, die konfessionellen Erschütterungen waren längst politisch-sozialen Umwälzungen gewichen, gründete der Stierstädter Lehrer Aloys Henninger 1850 die republikanisch angehauchte Zeitung „Taunuswächter“ und machte sich einen Namen als Lieder- und Sagendichter. Die „Sage von der Flennels“ stammt aus seiner spitzen Feder.

Ein wahrer Glücksfall für das Oberurseler Literaturleben begann im Jahre 1954, als der eigenwillige, Verleger der „Eremiten-Presse“ Victor Otto Stomps aus Geld- und Platzmangel seine Verlagsdruckerei von Frankfurt nach Stierstadt verlegte: Ein mittelprächtiger Schuppen am Bahndamm wurde zu seiner „Eremitage im Taunus“, zu seinem „Schloss Sanssouris“. Victor Otto Stomps (1897-1970), genannt VauO, genannt St. Mops oder Weißer Rabe, war ein Verleger der besonderen Art. Zum einen legte er großen Wert auf die bibliophile Gestaltung seiner Bücher, die sich durch besondere Druckverfahren, außergewöhnliche Papiermaterialien und Formate auszeichneten. Zum anderen verstand er sich als Geburtshelfer für junge, noch unbekannte Autoren. Sein Verlag bot angehenden Schriftstellern wie Christoph Meckel, Gabriele Wohmann, Johannes Bobrowski oder Christa Reinig eine lehrreiche Spielwiese. Seine Leidenschaft für das Büchermachen, sein unkonventionelles Arbeitsethos, sein Händchen für die angehenden Stars der deutschen Literaturbühne, seine Persönlichkeit und seine Lebensweise bildeten eine so konsequente Einheit, dass Stomps schon zu Lebzeiten Kultstatus erhielt. Nur als Dichter selbst konnte er sich nie so richtig etablieren, wenngleich ihm auch gerade in Stierstadt einige bemerkenswerte Texte, wie die „Fabel vom Bahndamm“ oder die poetische Biographie „Gelechter“ gelangen.

Und schließlich ist da noch der Kolumnist, Buchautor, Satiriker und ehemalige Titanic-Chefredakteur Hans Zippert, der seit Ende der 80er Jahre in Oberursel lebt. Aus seiner einsamen Poeten-Kammer unter dem Dach blickt er einerseits auf die Wälder und Hügel des Taunus, andererseits auf die Dächer und Straßen Oberursels – und auf die von Ferne lockende Silhouette Frankfurts. Kein Wunder, dass sein Text „Schöne neue Heimat“ in der Anthologie „Öde Orte“ ein launiges, amüsantes Bild seiner Wahlheimat Oberursel zeichnet.