Von OLAF VELTE

 Gudrun Dittmeyer und Eva Sigrist veranstalten „LiteraTouren“

„Wir lesen aus subversiven Gründen.“ Gudrun Dittmeyer spricht in aller Gelassenheit aus, was von Eva Sigrist mit einem herzlichen Lachen kommentiert wird. Es ist eine inspirierende Widerständigkeit, mit der die „LiteraTouren“-Gründerinnen das Oberurseler Stadtleben seit vielen Jahren bereichern.

Vorstand von literatouren.kultur in Oberursel e.V.Nicht ohne Hintersinn wurde das Konterfei der Bettine von Arnim zum Vereinssignet erkoren – „Freigeist, wild, unkonventionell“. Mit großer Energie und zäher Beharrlichkeit setzt das Duo eigenwillige Akzente in kulturgesättigter Umgebung. Wer in hiesigen Breiten von „Literatur“ und entsprechenden Angeboten spricht, denkt zumeist an Frankfurt und seine Veranstalter. Das geflügelte „Warum in die Ferne schweifen?“ darf in diesem Falle durchaus in Anschlag gebracht werden: Auch im vorderen Taunus haben deutsche Romantik und türkische Poesie, Büchner, Brecht und ähnliche Kunstkaliber ihren Platz.

Eine Reihe von Formaten hat sich bewährt: Fünf „Literaturabende“ rücken bis 15. Juli Geschichten und Geschichte Israels in den Blickpunkt, die „Lyrik am Sonntag“ findet am 26. April ihre Fortsetzung, der diesjährige Wochenend-Ausflug folgt den Spuren Jean Pauls nach Bayreuth.

Die Sprachkunst ist der Boden, auf dem sich Sigrist und Dittmeyer seit jeher bewegen. Beide sind in Süddeutschland aufgewachsen, haben im Deutsch-Unterricht nachhaltige Anregung erfahren, das Freiberuflertum schließlich als die angemessene Lebensweise gewählt. „Literatur spiegelt das Leben“ – darüber besteht Einigkeit. Und dass die Vermittlung von Kunst wichtiger denn je sei.

Im Jahre 1994 ist die Politikwissenschaftlerin und Germanistin Sigrist mit Familie nach Oberursel gekommen, vier Jahre später die literaturwissenschaftlich ausgebildete Dittmeyer („Ein Jahr habe ich in Lyon gelebt und dort gleich einen Literaturzirkel ins Leben gerufen.“) In der Buchhandlung Libra treffen sich die beiden Frauen kurz nach der Jahrtausendwende, erkennen die geistige Nähe, werden gemeinsam aktiv.

Gesprächsrunden finden zusammen, Jahresprogramme mit anspruchsvollen Themensetzungen entstehen, neben Texten gewinnen auch Malerei und Musik an Bedeutung. „In Oberursel wohnen interessante Künstler, die hier aber nur selten in Erscheinung treten.“ Bis heute bewegt sich „LiteraTouren“ „jenseits des Mainstream“ – was die Vermittlungsarbeit keinesfalls einfacher macht.

Als „Einzelkämpferinnen“ mussten Dittmeyer und Sigrist stets Hürden überwinden. Das Ganze sei kein Geschäftsmodell, die projektbezogene Unterstützung der Stadt unverzichtbar. Heute kann sich der Verein auf die regelmäßige Teilnahme von etwa 50 Literaturbegeisterten stützen – „vorwiegend Damen“.

Nach der jüngst durchgeführten Neuorganisation werden die vielfältigen Aufgaben nunmehr von vier Mitgliedern gemeistert. Eine Entlastung, die den Gründerinnen neuen Schwung verliehen hat. Mit dem Kooperationspartner „kunstbühne portstrasse“ wird „Mein Lieblingsbuch“ in die zweite Runde gehen: Am 15. April kommt Musikschulleiter Holger Pusinelli mit außergewöhnlicher Lektüre-Empfehlung.

Und der Wunsch nach einem Literaturfestival auf Oberurseler Boden ist noch nicht begraben: „Aber wie immer ist die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten dringlich.“ Zudem hält der Ort unterm Taunuskamm eine Fundgrube bereit, die noch nicht annähernd ausgeschöpft ist. Genügend Stoff jedenfalls, um die Brunnenstadt auch als Kulturstadt zu adeln. „Was wäre hier aus dem Thema V. O. Stomps zu machen!“ Auch er ein rebellischer Geist, der „frischen Wind in die Muffzeit der 50er Jahre“ brachte.

Noch steht das berühmte Häuschen in Stierstadt, über das der anti-bürgerliche Lebens- und Literaturkünstler einst schrieb: „Ich wohne neben der Eisenbahn. Wenn ein Zug kommt, wackelt das Haus seinen Rhythmus mit.“

Frankfurter Rundschau vom 24.03.2015

Foto: Michael Schick

http://www.fr-online.de/bad-homburg-und-hochtaunus/freigeister-der-poesie,1472864,30212420.html